Das Streichholz

Der Heinrich, das war ein Knecht, der auf dem Bauernhof hoch oben in den Dolomiten lebte. Er war ein braver, gutmütiger Mann, der sogar seinem schlimmsten Rivalen nur Gutes wünschte. Meine Großmutter erzählte mir oft von ihm. Sein Jugendfreund, sagte sie, der Willi, hatte ihm einst die Freundin ausgespannt. Ja, richtiggehend ausgespannt. Er hatte eines Abends darauf gewartet, bis Heinrich und seine Evi nach einem Streit auseinandergingen, um sich dann ganz hinterrücks an sie heranzumachen. Evi war aufgebracht, weil Heinrich nicht mit ihr ins Puppentheater wollte, das im Dorf gastierte. Sie warf ihm vor, dass er niemals irgendwo mit ihr hinging. Und dabei wollte sie doch nur mal ein bisschen tanzen gehen oder sich schick machen für ein schönes Essen. Willi war prompt zur Stelle gewesen – er wusste von den gelegentlichen Auseinandersetzungen und gab den Lebemann, der ihr diese kleinen Freuden gerne gönnen wollte. Evi in ihrer Aufregung heulte sich bei ihm aus, und obwohl sie, wie sie eigens betonte, ein anständiges Mädel war, ging sie mit ihm weg. Wohin und was genau vorfiel, war nicht zu erfahren, aber dass es danach aus war zwischen Heinrich und Evi, das wusste das ganze Dorf. Seine Evi sah der Heinrich nur noch ein- oder zweimal aus der Ferne, dann verschwand sie vollends aus seinem Leben.

 

Heinrich fügte sich in sein Schicksal und nahm es dem Willi nicht übel. «Wie das Leben so spielt», sagte er nur, wenn man ihn nach seiner Geschichte fragte. Die Leute wunderten sich darüber, dass er so versöhnlich sein konnte mit dem Leben und den Leuten. Heinrich aber, der schon früher viel im Wald gewesen und dort seinen Gedanken nachgegangen war, war jetzt nur noch zu sehen, wenn er für den Bauern eine Besorgung im Dorf zu machen hatte. Man erzählte sich – oder besser gesagt eine vorlaute Magd vom Hof erzählte es –, dass er sich nichts sehnlicher wünschte als ein kleines Häuschen und eine liebe Frau, aber man sah ihn nie bei einem Fest oder irgendwo sonst, wo er eine Bekanntschaft hätte machen könnten. Oh, wie die Leute tuschelten, wenn, und das war keine Seltenheit, eine neue Magd am Hof einzog. Aber zum Tuscheln gab es gar keinen Anlass, Heinrich verhielt sich immer so, wie sich ein Ehrenmann zu verhalten hatte. Das alles erzählte mir meine verstorbene Großmutter an einem schönen Herbsttag vor vielen Jahren, als sie noch kräftig zupacken konnte und wir gemeinsam Holzscheite stapelten. Seinen Wunsch gab der Heinrich nie auf, sagte sie, obwohl es augenscheinlich danach aussah. Und dann, eines Tages, so erzählte man sich, als er einer Dame Feuer gab – ganz in Gedanken versunken hatte er seine Streichhölzer aus der Hosentasche genommen, eines entzündet und dem neuen Hofgast entgegengehalten –, entzündete sich mehr als nur dieses kleine Flämmchen, und sein Schicksal nahm eine neue Wendung.

 

Jahre später sah man die beiden vor ihrem Häuschen auf einer verwitterten Gartenbank sitzen, sie in eine Zeitung vertieft, er in die Ferne blickend mit einem versonnenen Lächeln auf den Lippen und einem Streichholz dazwischen. Die besagte Magd war meine Großmutter gewesen, und sie sagte, sie hätte sich keinen besseren Mann aussuchen können. Ich glaubte ihr, auch wenn ich meinen Grossvater nie getroffen habe.